Ich entscheide mich für eine dreitägige Jeep-Fahrt durch die Ausläufer der Anden, um nach Bolivien zu kommen. Nach 45 Minuten Fahrt erreichen wir bereits den Grenzübergang mitten im Nirgendwo. Wer ein schickes Gebäude erwartet hat, wird zutiefst enttäuscht sein: Zwischen den Vulkanen steht ein kleines in die Jahre gekommenes Häuschen, in dem ein schlecht gelaunter Beamter unsere Pässe stempelt. „Eintreten darf immer nur einer“, gibt er uns auf spanisch, unterstrichen von einer demonstrativen Geste, zu verstehen. Danach wird unser Gepäck auf einen Jeep geladen. Die Rucksäcke, Getränkekanister und Taschen kommen alle aufs Dach und wir quetschen uns zu sechst plus Fahrer in den Innenraum. Zum Glück halten wir alle Stunde an und schauen uns die großartigen landschaftlichen Schönheiten an. Lagunen in grün, weiß, rosa mit unzähligen Flamingos zwischen Vulkanen, Hügeln und Wüstenlandschaften. Einmal sieht es aus, wie auf einem Dali-Gemälde, das andere Mal kommen wir uns wie Ameisen in einem rießigen Lavafeld vor. Lamas und Alpakas schauen uns unter verwuscheltem Haar skeptisch entgegen und und die bolivianischen Frauen in herkömmlicher Tracht tragen ihre Kinder im farbenfrohem Tuch quer über den Rücken durch die Pampa. Am letzten Tag fahren wir in die Salzwüste Salar de Uyuni. Eine riesige Ebene bestehend aus verkrustetem Salz. Und weil wir die Salar gerade in der Regenzeit besuchen, werden wir mit wunderschönen Spiegelungen belohnt, die nicht erkennen lassen, wo der Horizont beginnt. Boden und Himmel verschmelzen zu traumhaft schönen Bildern, obwohl wir wieder einmal keine Sonne zum Sonnenaufgang haben. Wir schießen perspektivische Fotos im trockenen Teil der Salzwüste und haben unglaublich viel Spaß uns immer wieder Neues einfallen zu lassen. Nach einer Nacht im Salzhotel mit Salzbetten, -tischen und -stühlen beenden wir die Tour mit einem Besuch auf dem Zugfriedhof nahe der ziemlich hässlichen Stadt Unyuni.
Ich bin überrascht, wie groß der Unterschied zwischen Chile und Bolivien ist. Die Bergdörfer sind alle von einer gewissen Armut gekennzeichnet, die Häuser klein bis winzig, die Straßen nicht geteert. Hier scheinen die alten Traditionen noch zu leben. Schon rein optisch bin ich als „Gringo“ sofort zu erkennen. Die bolivianischen Frauen tragen zwei lange geflochtene Zöpfe, mehrere Röcke übereinander, um breite Hüften vorzutäuschen, Blusen oder Shirts über die eine gestrickte Jacke oder ein Poncho gezogen wird. Auf dem Kopf thront ein zu kleiner Hut, das gehört sich hier so. Und an den Füßen finden sich zierliche Ballerina, meist ohne Socken und auch ungeachtet, ob es regnet, matschig ist oder nicht. In den Städten wie Sucre oder Santa Cruz hingegen, kleiden sich die meisten westlich modern, aber immer sexy. Die Häuser sind oft im Kolonialstil gebaut, mit wunderschönen Innenhöfen und kleinem Springbrunnen. Es gibt neben traditionellen bolivianischen Gerichten (Fleisch mit Reis und Kartoffeln, Erdnusssuppe, Empanadas, Saltenas, Chorizo etc., bei denen die Gewürze fehlen) auch Burger, Pizza und Pasta zu finden.
Und die Bolivianer? Sie sind klein, haben eine dunklere Haut, als die Argentinier und Chilenen und sind auf den ersten Blick nicht gerade freundlich. Kommt man in einen Laden, schauen sie kurz auf, erwidern vielleicht noch das „Hola“ und wenden sich dann wieder ihren Mitarbeitern, Zeitschriften, Handys oder irgendeiner anderen Beschäftigung zu. Als freundlicher Deutscher steht man da nun und wartet höflich, bis der Angestellte Zeit für einen findet. Tja, und steht man dann. Der bolivianische Angestellte macht keinen Zucker, um auch nur ein kleines Signal zu geben, er möchte einem jetzt weiterhelfen. Na gut, dann eben auf die harsche Tour – „Ich brauche x y z….“. Dann wird man komischerweise bedient. Aber: Die Bolivianer, die ich näher kennenlernen durfte waren allesamt sehr nett, sehr hilfsbereit und haben sich rührend um mich gekümmert. Sie haben mich zum Essen eingeladen, mir die Stadt gezeigt, mit mir landestypische Gerichte gekocht und sind mit mir abends zum Salsa tanzen gegangen. Wir hatten unheimlich viel Spaß, sie lachen gerne und geben einem das Gefühl willkommen zu sein.
La Paz – höchste Hauptstadt der Welt
Mit fast 4000 Metern ist La Paz ganz weit oben. Das merke ich auch gleich, als ich aus dem Flugzeug steige und mir leicht schwindelig wird. Die Stadtkern befindet sich in einer Senke, die nicht breiter als 200-300m ist. Alle weiteren Häuser, Straßen und Stadtteile verteilen sich ansonsten über die steilen Hänge drumherum. Seit einigen Jahren gibt es zum Glück moderne Gondeln, um in die unterschiedlichen Stadtteile zu kommen und so fahre ich zwischen Häuserschluchten in luftiger Höhe durch die ganze Stadt. La Paz ist seltsam anders und strahlt auf mich eine merkwürdige Atmosphäre aus. Es gibt Gemüsemärkte, die mehr zum kommunikativen Austausch gedacht sind, als zum Verkaufen, viele Straßenhändler, wenig Touristen und zwischen traditionellen kleinen Straßenimbissen moderne Hipster-Restaurants. Es gibt einen Hexenmarkt, auf dem man Salben, Opfergaben für Pachamama (Mutter Erde), Glücksbringer und tote Lamaföten kaufen kann. Gruselige Geschichten über die indigene Tradition des Vergrabens eines Opfers unter dem Fundament beim Hausbau – kleines Haus, kleines Opfer, großes Haus, großes Opfer… und den gutgemeinten Rat, nachts sich nicht hoffnungslos betrunken in den Straßen von La Paz zu verirren. Und es gibt das seltsamste Gefängnis San Pedro Südamerikas. Hier wird Kokain produziert, man muss sich seine Zelle kaufen und Kinder und Frauen der Häftlinge wohnen hier ebenfalls.
Um Bolivien und seine Naturschätze noch besser kennenzulernen, mache ich auf zu einem Volontariat im Ambue Ari Nationalpark mitten im Dschungel.